Im April 1994 werden eine Millionen Menschen in Ruanda umgebracht. Die meisten Mörder haben das Land nie verlassen. Wie können die Familien der Opfer und  die Täter weiter gemeinsam in dem selben Land leben, noch dazu wenn es so winzig wie Ruanda ist? Das ist eine zentrale Frage dieses Films.

RUANDAS STARKE FRAUEN

Die Geschichte eines unglaublichen Comebacks

Nominiert für den

Juliane Bartel-Medienpreis 2010

DIRK LAABS   FILMEMACHER REPORTER AUTORhttp://www.dirklaabs.de/Website/HOME_1.html
 

Dokumentation für ARTE, 2009, 53 Minuten

Gleich an meinem ersten Tag im Land habe ich das Glück auf eine Hubschrauberreise eingeladen zu werden, organisiert von den Rwanda Defense Forces. Die wichtigsten Schlachtfelder des Unabhängigkeitskrieges werden angeflogen, heißt es. Ein General, er nennt sich Cesar,  führte die Gruppe von Journalisten an, die meisten der Kollegen sind Afrikaner. Wir werden auf zwei alte russische Armeehubschrauber verteilt. Eine große Narbe zieht sich über General Cesars Kiefer – ein Durchschuss. Er gehört der Minderheit der Tutsi an, die vor 15 Jahren von Hutu-Extremisten abgeschlachtet wurde. Jahrelang hatte er im Dschungel gelebt, ehe seine Rebellentruppen den Genozid 1994 beendete.


Die Armee-Hubschrauber Typ Mil Mi-8 fliegen träge über den Norden des Landes, einst Rebellengebiet. Der General zeigt zum Horizont, dort, von Uganda aus hatten die Tutsi ihren Kampf organisiert. Doch ich habe nur Augen für das Land, die steilen, grünen Hügel, die riesigen Seen, auf ihnen dutzende Inseln, die breiten Flüsse, die Vulkane, die Kaffeeplantagen, die Reisfelder. Ruanda raubt mir den Atem, vom ersten Tag an.


Blutig, staubig, heiß, gefährlich – so stellen sich viele Menschen in Europa Ruanda vor. Stimmt alles nicht – Ruanda, kaum so groß wie Mecklenburg-Vorpommern, ist eines der schönsten Länder, das ich je bereist habe. Es scheint politisch sehr stabil und sicher zu sein – vor allem für Besucher. Es gibt kaum Überfälle, der Verkehr läuft geregelt ab, Plastiktüten sind staatlich verboten, also ist es sauber, die Überlandstrassen werden in Stand gesetzt. „Rwanda is Africa Americans can handle“, heißt ein Spruch, den ich oft höre.


Ruanda wird zu Recht das „Land der 1000 Hügel und des ewigen Frühlings“ genannt. Auf 1500 Metern, nur knapp südlich des Äquators liegt es, das Klima ist angenehm. Im Süden des Landes entspringt der Nil. Die letzten Berggorillas sind nur noch hier und in den Nachbarländern Kongo und Uganda zuhause.


Einen ganz Tag lang fliegen wir über das bergige Land, wir landen mehrmals, überall der gleiche Eindruck: Ein Paradies. Doch in jedem kleinem Ort im Land wurden während des Völkermords Menschen ermordet, in jedem Dorf, in jeder Stadt, insgesamt  gab es fast eine Million Tote. 100 Tag dauert das Massaker, bis es der General und die anderen Rebellen beendeten und die Macht im Lande übernehmen konnten. Bis heute beherrschen sie Ruanda.


Wo wir auch landen, rennen dutzende von Kindern auf den Hubschrauber zu. Sie zeigen auf meinen Kollegen, den US-Autoren Philip Gourevitch (der eines der besten Bücher über den Völkermord geschrieben hat) und auf mich – wie sind die einzigen weißen Journalisten. Sie rufen „Musungo!“ – (was man ungefähr mit „verwirrter Mann“ übersetzen kann, so nennt man in Ostafrika die Weißen).


Während der vierwöchigen Dreharbeiten werde ich den Ruf Musungo hunderte Male hören und überall diese offenen, neugierigen Menschen treffen. Dennoch: Einige von ihnen haben Kinder, Frauen und alten Menschen ermordet. Denn viele der Völkermörder sind inzwischen begnadigt und auf freiem Fuß.


Das ist der Widerspruch in Ruanda, über den ich ständig nachdenken muss. Auf der einen Seite das schöne Land, die beeindruckenden Frauen, die übermenschliches zu leisten scheinen, um das Land wieder aufzubauen; auf der anderen Seite die Vergangenheit des Landes, die sich nur offenbart, wenn man nachfragt oder genauer hinsieht.


Die Städte sind nicht mehr zerstört, es gibt keine offensichtlichen Spuren des Krieges mehr. Doch wir lernen einige der Menschen besser kennen; eine Frau erzählt uns, dass ihre ganze Familie, 81 Mitglieder, umgebracht wurde. Nur sie hat überlebt. Einer unserer Fahrer hat viele seiner Verwandten in der Kirche verloren, in der wir filmen. Andere Menschen zeigen uns die Narben der Macheten auf ihren Körpern. Wir treffen auf Waisen, heute 21, 22 Jahre alt, die noch immer traumatisiert sind – wie sollte es anders sein. Hilfe gibt es in dem armen Land für sie kaum. Zu viele Menschen sind betroffen.

 

Ich wurde vor der Reise immer wieder gewarnt: die Regierung würde die Opposition unterdrücken, die Wände hätten Ohren, Spitzel würden bei jedem Interviews mithören, unter Umständen unsere Gesprächspartner einschüchtern. Auch aus deutschen Botschaftskreisen wurden wir gewarnt. Ein einziges Mal wurden wir während der Dreharbeiten angesprochen, von einem blutjungen Geheimpolizisten, aber nicht behindert. Ein anderes Mal schien eine Interviewpartnerin eingeschüchtert zu sein, weil sie zu der Gruppe der Hutu, den Tätern gehört. In unserem Team arbeiteten nur Tutsi.


Obwohl sie nur zehn Prozent der Bevölkerung ausmachen, dominieren die Tutsi das Land politisch und wirtschaftlich. Der Präsident Kagame, auch ein ehemaliger Rebell, greift mit eiserner Hand durch. Oppositionelle wurden schon unter dem Vorwand, den nächsten Genozid zu planen, verhaftet, kritisieren Menschenrechtler.


Man spürt oft, wie zerbrechlich der Frieden ist – auch haben die Menschen den Mördern nicht so leichten Herzens verziehen, wie es die Regierung glauben machen will. Mörder und Hinterbliebene leben in Ruanda Seite an Seite weil sie es müssen, nicht weil sie es wollen. Der Moment in dem uns die Präsidentin der Frauenkooperative, in der Tutis und Hutu zusammenarbeiten, im letzten Interview offenbart, dass sie als Opfer den Sohn eines Mörder geheiratet hat, beeindruckte mich dennoch am meisten. Man stelle sich vor: eine KZ-Überlebende heiratet den Sohn eines SS-Offiziers.


Aber ich muss auch an die Drehvorbereitungen zurück denken, als mich eine E-Mail erreicht, Jeannette, eine der Witwen über die ich viele gelesen hatte, könne nicht mir uns drehen: „I’m sorry for Jeannette she is no longer alive, she was killed in late March by unknown people and the police found her body in Nyabarongo river“, schrieb mir einer ihrer Freunde. Warum sie sterben musste, konnte ich nicht herausfinden.




Ausgesuchte Links:


Philip Gourevitchs Ruanda-Reportagen im NEW YORKER.


– Die PBS-Dokumentation „Ghosts of  Rwanda“ (auf youtube)


FOTOGALERIE:

Ein Reise durch Ruanda

in 24 Bildern. Click and watch.

„Blutig, staubig, heiß, gefährlich – so stellen sich viele Menschen in Europa Ruanda vor.“

„Doch in jedem kleinem Ort wurden während des Völkermords Menschen ermordet, in jedem Dorf, in jeder Stadt, insgesamt  gab es fast eine Million Tote.“

„Eine Frau erzählt uns, dass ihre ganze Familie, 81 Mitglieder, umgebracht wurde. Nur sie hat überlebt.

Einer unserer Fahrer hat viele seiner Verwandten in der Kirche verloren, in der wir filmen.“

Man stelle sich vor:

eine KZ-Überlebende heiratet den Sohn eines SS-Offiziers.

„I’m sorry for Jeannette she is no longer alive, she was killed in late March by unknown people and the police found her body in Nyabarongo river“