„So skizziert die Doku die beklemmende Chronik eines angekündigten Terrors. So nüchtern und akribisch, dass sie zugleich auch wie ein Gegengift wirkt zu den Versuchen, den islamistischen Terror als große Verschwörung des US-Establishments zu schildern...“

epd-Medien


TÖDLICHE FEHLER

Wie die Todespiloten den Geheimdiensten entkamen

Die Dreharbeiten für diese aufwendige Produktion führten mich nach New York, Washington, Minneapolis, San Diego, Kuala Lumpur, Manila.

KRITIK:

Der angekündigte Massenmord


(epd medien/ fernsehkritik). Der Countdown läuft. Minutiös schildern Oliver Schröm und Dirk Laabs, was in der langen Zeit zwischen dem 26. Februar 1993 und dem 10. September 2001 geschah. Bereits am Tag, als der erste Terroranschlag einen sechs Stockwerke tiefen Krater in einen der Twin Towers riss, war klar, dass der Terror eine neue Adresse gefunden hatte: Homeland, USA. Doch 1993 starben "nur" sechs Personen, zirka tausend wurden verletzt -- und äußerlich gab es keine Spuren, die zu sehen oder zu verfolgen waren.


Bis auf Ramzi Ahmad Yussef, einen der Sprengmeister des Anschlags. Er entkommt auf die Philippinen, wo 1994 ein weiterer Terrorakt geplant wurde: der "Manila Air"-Anschlag: zwölf US-Flugzeuge sollten auf dem Weg nach Asien gekapert und gesprengt werden. Der Plan fliegt auf, Yussef wird in Manila geschnappt. Sein Onkel Khalid Sheikh Mohammed aber entkommt und bringt in einem afghanischen Al-Quaida-Camp einen gewissen Osama Bin Laden auf die Idee mit den Flugzeugen als tödlichen Waffen im Jihad gegen die "Ungläubigen".


Zwar erwähnen die Autoren das "Manila Air"-Komplott nicht namentlich, aber sie legen damit auch nur den ersten Mosaikstein eines analytisch arrangierten Puzzles mit einer klaren Aussage: die Anschläge des 11. September kamen keineswegs aus dem sprichwörtlich blauen Himmel über New York und Washington -- sie waren Teil einer personellen und ideologischen Verbindung, die nicht einmal besonders konspirativ, dafür umso konsequenter ein Vorhaben vorantrieb: den Krieg gegen den Westen mit dem Mittel des Massenmords an Zivilisten.


Schröm und Laabs schildern mit hohem investigativen Aufwand, wie es quasi unter den Augen der Geheimdienste immer konkretere Treffen, Pläne und auch Anschläge wie 1998 in Ostafrika gab. Arrangiert werden die Facts als brisanter Politkrimi, der mit sehr offenen Aussagen hochrangiger CIA-, FBI- und Regierungsmitarbeiter, mit hellsichtigen Aktenvermerken und sogar einem privaten Hochzeitsvideo (ohne Braut) aufwarten kann, auf dem die Hamburger Terrorzelle vereint zum Dschihad aufruft. Das sind keine Schläfer, räumt denn auch der Stuttgarter Verfassungsschützer Herbert Landolin Müller ein, denn hier hätten "recht aktive Leute" ihre Vorbereitungen getroffen.


Marwan Al-Shehhi, der Name eines der späteren Todespiloten, wurde von den deutschen "Schlapphüten" (übrigens ein ziemlich plumper Filmtitel) schon im März 1999 von den deutschen Geheimdienstlern an ihre CIA-Kollegen weitergegeben, wo er in Datenbanken verschwand. Später erhielt Marwan problemlos sein amerikanisches Visum. Auf dem Hochzeitsvideo lässt Marwan indes keine Fragen mehr offen: "Ein Märtyrer stirbt nicht und er lügt niemals." Sein Komplize Ramzi Binalshbib erklärt vor den Hochzeitsgästen, allesamt Männer: "Wir sind für Atheisten wie Vulkan, Orkan und Feuer" -- eine ziemlich genaue Vorwarnung für das Inferno von New York und Washington.


Es ist erschreckend, wie viele weitere, genaue Warnungen es vor dem 11.9. gab, die Schröm und Laabs mit kühler Akkuratesse Revue passieren lassen. Da hatte schon im April 2000 ein Pakistani in New York ausgepackt, es gebe Pläne, eine Boeing 747 zu entführen und in ein Hochhaus zu steuern. "Zu aberwitzig", habe das FBI befunden und die Akte geschlossen. Ein FBI-Agent hatte sich im Juli 2001 an einen Vorfall von 1999 erinnert, wo arabische Fanatiker ein Flugzeug-Cockpit stürmen wollten. Die, so fand er heraus, hatten sich zuvor als gelehrige Flugschüler versucht. Der Mann wollte nun alle arabischen Flugschüler überprüfen lassen. Das FBI lehnte ab.


Dennoch wurde in Minnesota im August 2001 Zacharias Moussaoui verhaftet, weil er als Flugschüler allzu auffällig nach Autopilot-Manövern fragte, durch die auch blutige Anfänger große Jets manövrieren können. Moussaoui wurde festgenommen, aber sein Gepäck durfte erst nach dem 11.9. durchsucht werden -- es enthielt die Telefonnummern der Hamburger Zelle.


 "Reine Paragrafenreiterei", sagt jetzt die Chefermittlerin des Kongress-Ausschusses, Eleonor Hill. Und der Brief des wachsamen FBI-Agenten sei "im Poststapel ganz unten gelandet". Auch das Weiße Haus habe, so Ex-Sicherheitsberater Daniel Benjamin, die dissonanten, aber doch anschwellenden Warnsignale ignoriert: China und "sogar der Irak" seien wichtiger gewesen als der drohende Terrorismus im eigenen Land. So skizziert die Doku die beklemmende Chronik eines angekündigten Terrors.


So nüchtern und akribisch, dass sie zugleich auch wie ein Gegengift wirkt zu den Versuchen, den islamistischen Terror als große Verschwörung des US-Establishments zu schildern, wie kürzlich die WDR-Sendung "Aktenzeichen 11.9. ungelöst" (epd 51/03). Offenbar konnten die Bush-Regierung und die Geheimdienst-Oberen schon deswegen kein Komplott schmieden, weil sie die selbst ernannten Gotteskrieger überhaupt nicht ernst nahmen.


In diesem Sinne lassen sich sogar die militärische Aufrüstung und die innenpolitische Eindampfung der Bürgerrechte in den USA nicht primär als "Masterplan" sehen, sondern eher schon als konfuse Trotzreaktion gegen eine weiter als "unsichtbar" geltende Gefahr. Diese stellte die Dokumentation präzise nach -- bis zum 10. September, wo der Geheimdienst NSA per Telefon den Satz abhörte: "Morgen ist die Stunde Null. Das große Spiel beginnt." Dieter Deul


epd medien Nr. 65, 20. August 2003




Aus dem "stern":


TV-TIPP: Die tödlichen Fehler der CIA im Ersten


Es ist eine enorm aufwendige Dokumentation, die die ARD am heutigen Donnerstag um 23 Uhr ausstrahlt. Die Recherchen und Dreharbeiten für den 45-minütigen Beitrag "Die tödlichen Fehler der Schlapphüte - Wie die Todespiloten den Geheimdiensten entkamen" führten die Autoren Dirk Laabs und Oliver Schröm über drei Kontinente: Spurensuche in mehreren deutschen Städten, in Malaysia, auf den Philippinen und in den USA. Ein Jahr dauerte die Recherche, die Produktion des Films weitere sechs Monate. Die beiden Autoren enthüllen, wie nah die Geheimdienste an den Massenmördern dran waren.

Zum ersten Mal wird auch ein Privatvideo einer Hochzeitsfeier in Hamburg gezeigt, auf dem die späteren Todespiloten, der Koordinator der Terroranschläge und ihre Helfershelfer feiern und zum Heiligen Krieg aufrufen. Leitende Ermittler von FBI, CIA und des Untersuchungsausschusses des US-Kongresses nehmen erstmals öffentlich Stellung zu den Versäumnissen im Vorfeld des 11. September. Und sie nennen die Verantwortlichen für das Desaster beim Namen. Während ein führender Senator der Republikaner den CIA-Direktor George Tenet im Film zum Hauptschuldigen erklärt, versucht ein ehemaliges Mitglied des Nationalen Sicherheitsrats der USA, die deutschen Geheimdienste mit in die Verantwortung zu nehmen.



Stills „Tödliche Fehler“:

DIRECTOR‘S NOTE: 2003 begann ich gemeinsam mit dem Autoren Oliver Schröm zu recherchieren, wie die Geheimdienste und Sicherheitsbehörde vor dem 11. September 2001 versagt hatten. Über ein Jahr bevor die so genannte „9/11-Kommission“ ihren Bericht veröffentlichte, brachten wir unsere Recherche als Film, Buch und „stern“-Serie an die Öffentlichkeit. Als erste Journalisten konnten wir berichten, dass deutschen Geheimdienste nicht nur Mitglieder der Zelle um Mohammed Atta und Ramzi Binalshibh kannten, sondern diese Informationen auch an US-Behörden weiterleiteten. Die Recherchen, die mich nach Kuala Lumpur, Manila, San Diego, LA, New York, Washington und vielerorts in Deutschland führten, ergaben eindeutig, dass die Anschläge vom 11. September 2001 zu verhindern gewesen wären – allerdings, weil sich Teile der US-Regierung eine gigantische Verschwörung geplant hätten, sondern weil vor allem die US-Regierungsstellen inkompetent und untereinander zerstritten waren.

ARD (NDR): 

(mit Oliver Schröm) 

Buch, Regie, Produktion:

Dirk Laabs

TRAILER ist noch ein Entwurf. Fertige Version folgt.